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FRAPORT AG – Startbahn für berufliche Karrieren

Partner des LWV

Die 34-jährige Andrea Winnerl bewegt sich sicher durch den weitläufigen Sitzungssaal, begrüßt den Gast, sucht Broschüren heraus, bedient das Telefon und druckt die benötigten Texte aus. Ganz normale Sekretärinnenarbeit. Dass die junge Frau von Geburt an fast blind ist, fällt dem Besucher kaum auf. Ein Bildschirmlesegerät, schriftliche Vermerke in der Blindenschrift Braille und ein perfekt aufgeräumtes Büro helfen der gelernten Fremdsprachensekretärin im Büroalltag. Dass nirgends ein Stuhl unvorhersehbar herumsteht, keine Schranktür aufklafft und keine Kabel auf dem Boden liegen, dafür sorgt Andrea Winnerls Chef: Lothar Bertrand, Schwerbehindertenvertreter bei der Fraport AG, dem Betreiber des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens.

Beispielhafter Arbeitgeber

Das Unternehmen leistet bundesweit eine beispielhafte Arbeit für behinderte Arbeitnehmer. Erstmals gelang es der Fraport 2002, die gesetzliche Pflichtquote für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zu erfüllen. "Ganz knapp lagen wir damals über den vorgeschriebenen fünf Prozent", betont Bertrand. Und der Trend setzt sich fort: 2003 stieg die Quote sogar auf 6,09 Prozent, damit arbeiten auf 736 der 12.500 Arbeitsplätze bei der Fraport schwerbehinderte Männer oder Frauen.
"Das ist keineswegs selbstverständlich", bestätigt LWV-Landesdirektor Lutz Bauer die Anstrengungen des Unternehmens, nur wenige hessische Arbeitgeber dieser Größenordnung würden die durch das Gesetz vorgegebene Quote schaffen. Laut Gesetz müssen alle Arbeitgeber mit mindestens 20 Beschäftigten auf fünf Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen anstellen. Tun sie das nicht, müssen sie für jeden nicht besetzten Platz eine Ausgleichsabgabe zwischen 105 und 260 Euro im Monat an das Integrationsamt zahlen. "Dieses Geld darf nur dazu verwendet werden, dass andernorts schwerbehinderte Menschen am Arbeitsleben teilhaben können", versichert Walter Pohl, Zielgruppenmanager des LWV-Integrationsamtes. Fast zehn Millionen Euro gibt das Amt im Jahr aus, um in Hessen neue Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen und Arbeitsplätze behindertengerecht zu gestalten.

Integrationsgedanke mit Leben gefüllt

"Die Fraport ist ein besonders wichtiger Partner des LWV", hebt LWV-Chef Bauer hervor. "Das Teilhabegebot für Menschen mit Behinderung wird hier wirklich mit Leben gefüllt." Seit fast zehn Jahren ist das Engagement bei der Eingliederung behinderter Menschen in das Arbeitsleben auf dem Frankfurter Flughafen mit dem Namen von Lothar Bertrand verbunden. Mit nie nachlassender Energie kümmert sich der 54-Jährige um "seine" Beschäftigten, führt Gespräche, initiiert "Runde Tische", macht Hausbesuche, inspiziert Arbeitsplätze und wirbt bei Vorgesetzten und Vorstand um Mut, es immer wieder mit behinderten Arbeitnehmern zu versuchen.

Keine leichte Aufgabe in einem Unternehmen, das seit zwei Jahren an der Börse notiert ist. "Auf der einen Seite haben wir als großes Unternehmen natürlich mehr Möglichkeiten, Schwerbehinderte einzusetzen", weiß Bertrand, "auf der anderen Seite hat der Druck auf die Mitarbeiter im Zuge der wirtschaftlichen Flaute in Deutschland auch bei den Flughafenmitarbeitern zugenommen." Allein im operativen Bereich sind 7.000 Menschen bei der Fraport beschäftigt. Ihre Dienstpläne sind so strukturiert, dass die Männer und Frauen oft am oberen Limit ihrer Kräfte arbeiten müssen. "Viele haben heute Angst um ihren Arbeitsplatz", weiß Bertrand. Die psychische Belastung lasse viele Kollegen krank werden: Depressionen, Angststörungen, psychosomatische Erkrankungen hätten dramatisch zugenommen.
Die Abteilungsleiter zu überzeugen, dass sie den Kollegen Zeit lassen, ihnen noch eine Chance geben, ist für Bertrand oft mühsame Überzeugungsarbeit. Manche der kranken Kollegen fallen für Jahre aus – eine Katastrophe in Zeiten, wo um jeden Arbeitsplatz hart gerungen wird. Trotzdem hat Bertrand mit seinem hartnäckigen Einsatz Erfolg: "Vor zwei Jahren", erzählt er, "konnten wir die Kündigung für einen psychisch kranken Kollegen nur mit Mühe zurückstellen, die Führungskräfte gaben ihm zwei Jahre zur Erholung. Jetzt arbeitet er wieder, wenn auch zunächst nur in einer Abteilung für leistungsgeminderte Mitarbeiter." Trotzdem ein Erfolg, denn ohne Bertrands Einsatz wäre der Mann seinen Arbeitsplatz längst ganz los.

Nischen gibt es nicht mehr

Auch die körperliche Belastung der Mitarbeiter nimmt immer mehr zu. Gerade die vielen hundert Beschäftigten draußen auf dem Rollfeld, die die schweren Koffer der Passagiere in die Maschinen wuchten müssen, gehören zu den "Sorgenkindern" der Schwerbehindertenvertretung. "Man kann so einen harten Job nicht Jahrzehnte durchhalten“, weiß Bertrand, "das macht der menschliche Knochenbau einfach nicht mit." Aber die Männer, die diesen Knochenjob machen, sind oft schlecht ausgebildet, können kaum Deutsch. Nischen, die es früher vielleicht noch gab, als Pförtner oder Nachtportier, bleiben heute verschlossen. Trotzdem bemüht sich Bertrand um jeden einzelnen Mitarbeiter.
So etwas spricht sich herum um auf dem Flughafen. Mittlerweile werden Bertrand und sein Stellvertreter Christian Somogyi ganz selbstverständlich gerufen, wenn einer der Kollegen nicht mehr kann. Die 2001 mit dem Arbeitgeber abgeschlossene Integrationsvereinbarung sieht vor, dass unverzüglich ein "Runder Tisch" einberufen werden muss, wenn ein behinderter Mitarbeiter nicht mehr an seiner Dienststelle eingesetzt werden kann. "Angefangen haben wir mit 30 solcher Gesprächsrunden im Jahr", erzählt Bertrand, "im vergangenen Jahr hatten wir schon 100 ‚Runde Tische’." Arbeitsmedizin und Personalabteilung, Führungskraft und Betriebsrat, Integrationsamt und der Betroffene selbst sitzen hier zusammen: "Da geht es nicht ums Rauskicken, da steht echte Hilfe im Vordergrund", betont Betrand. Kürzlich sei es zum Beispiel gelungen, drei Mitarbeitern eine externe Ausbildung zugute kommen zu lassen, damit sie bei der Fraport beschäftigt bleiben können.

Über die Mitleidschiene läuft nichts

Dabei halten Bertrand und Somogyi überhaupt nichts von der "Mitleidsmasche": "Wer auf der Mitleidsschiene eingestellt wird, kommt auf lange Sicht ohnehin unter die Räder." Nach Bertrands Erfahrung ist es immer sinnvoller, mit den eigenen Stärken zu punkten als die Schwächen herauszukehren. "Um Arbeitsplätze wird heute hart gefochten, darauf müssen sich auch die behinderten Bewerber einstellen", betont er. "Wir legen großen Wert auf ein reguläres Einstellungsverfahren, mit Entgegenkommen aus sozialen Gründen tut man den Bewerbern keinen Gefallen." Die Führungskräfte müssten überzeugt werden, dass genau dieser Bewerber der richtige sei. Was dann an Erleichterungen bei der Einrichtung des Arbeitsplatzes getan werden könne, das geschehe ohne Probleme in Absprache mit dem Integrationsamt.
Vieles ist inzwischen selbstverständlich auf Rhein-Main. So gibt es keine Betriebsversammlung ohne Gebärdendolmetscher. Zusätzlich finden regelmäßig während der Arbeitszeit Infogespräche für hörbehinderte Mitarbeiter statt, bei denen in kleinerer Runde über aktuelle Themen wie Versicherungsfragen oder Rentenansprüche diskutiert werden kann. Immer mehr Aufzüge werden mit einer Sprachausgabe ausgerüstet, damit sich blinde Menschen ohne fremde Hilfe im Lift orientieren können.
Zwar beklagt Bertrand, dass es auch bei der Fraport AG noch lange nicht selbstverständlich ist, bei Neueinstellungen und bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen Menschen mit Behinderungen gleichermaßen zu berücksichtigen. Dennoch hat er eine Reihe von Beispielen parat, die zeigen, dass es durchaus möglich ist, auch mit schweren Behinderungen Karriere im Unternehmen zu machen. Zuletzt konnten zwei gehörlose junge Männer ihre Ausbildung als Vermessungstechniker bei der Fraport abschließen und im Unternehmen übernommen werden. "Dann lohnt sich der große Kraftaufwand bei der Ausbildung," unterstreicht Bertrand. So wurden eigens Gebärdendolmetscher vom Integrationsamt gestellt, um die jungen Leute anzuleiten. Auch die moderne Technik mit EMail bietet große Vorteile, mussten früher doch spezielle Schreibtelefone angeschafft werden, um die Mitarbeiter zu informieren. "Aber oft ist es die Persönlichkeit der Bewerber, die Chefs und Kollegen überzeugt, dass man auf diesen oder jenen Mitarbeiter nicht verzichten möchte", weiß Bertrand und berichtet voller Stolz von der blinden Sabine Grüschwitz. "Die kam als ganz junge Frau hierher und es war ein hartes Stück Arbeit, bis wir ihre Einstellung durch hatten. Mittlerweile hat sie aus eigener Kraft Karriere gemacht und ist jetzt Aufgabenleiterin Marktforschung in der Frachtlogistik." Eindruck gemacht hat auch der junge Mann mit Down-Syndrom, der zum Betriebspraktikum in der Küche antrat. Zugetraut hatten ihm die Betreuer allenfalls eine einfache Tätigkeit im Hintergrund, aber mit Charme und Witz nahm der neue Kollege alle für sich ein und bewährte sich an der Essensausgabe im direkten Kontakt mit allen anderen.

Im Verbund für mehr Integration

Doch für Bertrand und sein Team sind nicht nur Einzelfälle aus dem eigenen Unternehmen wichtig. Im Verbund mit anderen Firmen werben sie für einen möglichst selbstverständlichen Umgang mit behinderten Mitarbeitern. Mehr als ein Dutzend großer deutscher Unternehmen wie die Lufthansa, das ZDF, die Deutsche Bank oder die Bahn beteiligen sich an dem "Unternehmensforum für schwerbehinderte Mitarbeiter und Kunden", das die Fraport vor zwei Jahren initiiert hat. "Konsequente Unternehmenspolitik für schwerbehinderte Arbeitnehmer und Kunden", heißt es da, "ist nicht nur wirtschaftlich und unternehmenspolitisch sinnvoll, es berücksichtigt auch die soziale Dimension von Unternehmen." Dazu tauschen die beteiligten Firmen ihre Erfahrungen mit beispielhaften Aktivitäten zugunsten von Behinderten aus und erstellen gemeinsame Leitlinien, um den Zugang zu Arbeitsplätzen für Menschen auch mit schweren Behinderungen zu erleichtern.

Auch am europäischen Projekt EQUAL "Keine Behinderung trotz Behinderung" beteiligt sich die Fraport. Mit seiner Hilfe soll der Übergang zwischen Schule und Beruf verbessert werden. "Gerade für junge Menschen mit Behinderungen verstärken sich die Barrieren, wenn sie nach Schulende lange arbeitslos bleiben", sagt Bertrand. "Bei der beruflichen Qualifizierung und Eingliederung gibt es noch riesigen Nachholbedarf in Deutschland."
Einzigartig in Deutschland ist die "Agenda für eine neue Unternehmenspolitik für behinderte Kunden und Mitarbeiter" bei der Fraport, die mittlerweile sogar Bestandteil des Qualitätsmanagements im Unternehmen ist. Das heißt, dass sich erstmals auch Führungskräfte daran messen lassen müssen, was sie für behinderte Mitarbeiter und Kunden zu tun bereit sind.

Maritta Menkhoff, die sich selbst im Rollstuhl fortbewegt, kümmert sich bereits seit fünf Jahren darum, dass der Frankfurter Flughafen auch für behinderte Besucher und Fluggäste so barrierefrei wie möglich gestaltet wird. "Der Fraport ist es zu danken, dass am Rhein-Main-Flughafen für Besucher und Mitarbeiter mit Behinderungen langsam eine Normalisierung in Gang kommt, die beispielhaft ist", lobt LWV-Zielgruppenmanager Pohl das Bemühen der Fraport. "Man versucht, nicht immer Sonderlösungen zu finden, sondern Menschen mit Behinderungen einfach selbstverständlich zu begegnen."

Doris Wiese-Gutheil