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Brücken in die Vergangenheit – LWV würdigt Landgraf Philipp

Philipp-Jahr beim LWV: Im September lud das ZSP Kurhessen zu einer Festwoche ein. Einer Festveranstaltung von Landkreis Kassel und LWV folgte ein "Tag im historischen Merxhausen", der viele hundert Menschen auf das Gelände des ehemaligen Klosters lockte. Guter Besuch auch bei Hubertusmesse und Sternblasen im ZSP Haina (Kloster), zu dem die Stiftungsforsten eingeladen hatten. Beide Veranstaltungen schlugen Brücken in die Vergangenheit.

Merxhausens erster Forensikpatient

Nahe des Klosters Merxhausen wird ein schwer verletzter Mann gefunden – ein Opfer des "tollen Konrads", einem berüchtigten Räuberhauptmann. Die Mönche verweigern zunächst die Aufnahme des Mannes ins Kloster, erst der inkognito auftretende junge Landgraf Philipp muss die Mönche von ihrer Gottespflicht, Leben und Gesundheit eines Mitmenschen zu retten, überzeugen. Jahre später bedarf der tolle Konrad selbst der Hilfe – auch bei ihm hält es der Landgraf für seine Pflicht, diese Hilfe im gerade neu gegründeten Hohen Hospital Merxhausen zu gewähren. Dem tollen Konrad wird Aufnahme und Pflege zuteil – aus Barmherzigkeit, wohl aber auch in der Hoffnung auf Läuterung des Rechtsbrechers.

Dass Landgraf Philipp von Hessen, der schon früh den Beinamen "Der Großmütige" erhielt, mit der Gründung der Hohen Hospitäler in Merxhausen und an anderen Orten mit dieser Haltung zugleich auch die erste "forensische" Einrichtung begründete, erfuhren die zahlreichen Besucherinnen und Besucher einer Szenenfolge aus dem Spiel von Eduard Thielemann, dargeboten vom Ensemble der Klosterspiele Merxhausen. Einer von vielen Höhepunkten der mehrtägigen Philipp-Festtage auf dem historischen Gelände des früheren Hospitals und heutigen Zentrums für Soziale Psychiatrie – dort während der Festtage gleich zweimal zu erleben.

Tag im historischen Merxhausen

Begonnen hatte der Veranstaltungsreigen mit fachlichen Vorträgen und einer Bilderausstellung. Am 18. September luden Landkreis Kassel und LWV gemeinsam zu einer Festveranstaltung ein, bei der Landrat Dr. Udo Schlitzberger eine Reihe prominenter Ehrengäste, darunter den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Alfred Hartenbach, und den Staatssekretär im Hessischen Kultusministerium, Joachim Jacobi, begrüßen konnte.
Für die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte, zu der Landgraf Philipp einen bis heute nachwirkenden Beitrag geleistet habe, gäbe es viele gute Gründe, sagte der Landrat vor den rund 300 Gästen. Ohne Zweifel sei er einer der wichtigsten Köpfe des deutschen Protestantismus gewesen, habe aber auch durch die Gründung der Hohen Hospitäler oder durch die Einführung einer modernen Steuerstruktur Bleibendes geschaffen. Wer Geschichte betrachte, erfahre auch viel über die Gegenwart, war sich Schlitzberger sicher.

Landgraf Philipps Leistungen in Merxhausen und an anderen Stellen zu würdigen, sei für den LWV eine Herzenspflicht, bekräftigte LWV-Landesdirektor Lutz Bauer in seinem Grußwort. Ein Faden lasse sich von der "Wohlthat" der vier Hospitalsgründungen von 1533 - 1542 bis zu den heutigen modernen sozialpsychiatrischen Zentren des LWV spannen: Schon zu Beginn waren die Hospitäler "multifunktional", suchten später durch Vermittlung von Patienten in Familienpflege die humane Idee einer gemeindenahen Psychiatrie zu verwirklichen. Doch auch Schattenseiten habe es in der Geschichte des Merxhäuser Hospitals gegeben, als in der NS-Zeit Mord und Terror gegen Schwache ausgeübt wurden. Hier habe der LWV mit seinen Mitarbeitern in der Nachkriegszeit auf grausame Weise missbrauchtes Vertrauen wieder neu aufbauen müssen. Sehr viel stärker allerdings stünden die Hospitäler für die humane Haltung Philipps, die in der Geschichte immer wieder Vorbild für neue soziale Anstrengungen gewesen sei.

Gott verpflichteter Staatsmann

Ein hohes Interesse am Landgrafen komme in den vielen Veranstaltungen und Ausstellungen des Philipp-Jahres zum Ausdruck, konstatierte Dr. Martin Hein, Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Erinnerung an lokale und regionale Geschichte stärke gewachsene Identitäten inmitten der oft beschworenen Globalisierung. In Philipp festige sich das Bild eines verantwortungsbewussten Staatsmannes, der seine Macht als von Gott erfahren verstehe – und diese Verantwortung als eine hohe Verpflichtung vor Gott und den Menschen wahrnehme und beherzige. Dabei habe sich Philipp bewusst in seinem Engagement für die Schwachen und Kranken in die Tradition seiner Ahnin Elisabeth von Thüringen gestellt, sagte Bischof Hein. Dieses Engagement sei dem "Politiker mit konkreten Zielen und Vorstellungen" ebenso wichtig gewesen wie Bildung und ein modernes Staatswesen.

Am Tag nach der abendlichen Festveranstaltung öffnete das ZSP buchstäblich Türen und Tore. Viele hundert Bürgerinnen und Bürger ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen, begleiteten die historisch gewandeten Führer auf einem Rundgang über das Hospitalsgelände, durch Flure und Räume und konnten dabei manch Erhellendes erfahren. Besonders stimmungsvoll wurde es im Kreuzgang: Dort empfing das musikalische Quartett Cassalla die Besucher mit Gitarrenmusik. Auch über den geplanten Neubau einer forensischen Klinik – für die "tollen Konrads" von heute – konnten die Besucher einiges erfahren. Wer noch mehr über die historische Entwicklung des ehemaligen Frauenhospitals wissen wollte, fand sich zum Vortrag der Leiterin des LWV-Archivs, PD Dr. Christina Vanja, ein. Nach dem Eintopfessen zog es erneut viele Interessierte zur Freilichtbühne, wo die Klosterspiele zum zweiten Mal ihre Szenenfolge über den Landgrafen zum besten gaben. Im Eingang wartete ein kleiner, aber gut sortierter Flohmarkt auf junge Käuferinnen und Käufer.

"Beim Klange der Hörner..."

Besucher, Patienten, Mitarbeiter aus dem Zentrum für Soziale Psychiatrie und den Stiftungsforsten zwischen in Jägertracht oder auch "zivil" gekleideten Musikern mit ihren blank geputzten Instrumenten – was zunächst wie ein buntes, gut gelauntes Durcheinander aussah, fand doch alsbald seine sonntägliche Ordnung. Denn dann stießen sie in ihre Hörner: Rund 200 Musikerinnen und Musiker aus insgesamt 11 Bläsergruppen, die zu ihren Auftritten am 19. September in der Hainaer Klosteranlage mehr als 1.000 Zuhörer/innen angelockt hatten. "Brücken schlagen" wollte die durch die Stiftungsforsten Haina ausgerichtete Veranstaltung zwischen der Zeit vor einem halben Jahrtausend, als Hospital und Stiftungsforsten entstanden, und heute, wo der Stiftungszweck getreulich erfüllt wird und sich in den Jahrhunderten dazwischen doch so vieles verändert hat – zum Guten, wenn man sich das heutige Zentrum für Soziale Psychiatrie und den modernen Waldwirtschaftsbetrieb der Stiftungsforsten ansieht. Dieser Meinung war auch der Erste Beigeordnete des LWV, Uwe Brückmann, der die Veranstaltung eröffnete. Eine humane und humanitäre Tradition habe Philipp begründet und somit den Beginn einer neuzeitlichen Sozialpolitik markiert. Doch nicht nur als fürsorglicher Landesvater habe der Landgraf gewirkt, auch könne man den leidenschaftlichen Jäger Philipp mit heutigen Worten auch als frühen Umweltschützer betrachten, da er das Nachhaltigkeitsprinzip für die Bewirtschaftung der riesigen Waldungen, die das Hospital bis auf den heutigen Tag umgeben, festschrieb.
Mit einer Hubertusmesse in der Klosterkirche hatte der Tag begonnen, anschließend begannen die Bläsergruppen ihre Darbietungen auf dem Platz vor der Kirche. Hungrigen Besuchern wurde ein leckeres Wildgulasch serviert. Zu einem gemeinsamen Finale stießen dann alle 11 Bläsergruppen gleichzeitig ins Horn. Der Klang der Hörner – in Carl Maria von Webers Oper "Der Freischütz" noch eine "fürstliche Freude" – an diesem Tag war er in Haina allen zugänglich. (jda)



Philipp und Merxhausen

Im nordhessischen Merxhausen wird im 13. Jahrhundert ein Kloster errichtet, welches in den folgenden Jahrhunderten eine wechselhafte Geschichte durchlebt. Nach Einführung der Reformation in Hessen säkularisiert Landgraf Philipp das Kloster 1527. Die Mönche werden, soweit sie der Reformation folgen, evangelische Geistliche. Mit Stiftungsbrief von 1533 erfolgt die Umwandlung in ein Hohes Hospital. In das Hospital werden arme, gebrechliche, kranke und geisteskranke Frauen aus den Dörfern der Landgrafschaft aufgenommen, während Haina für die Aufnahme von Männern zuständig wird. Mit dieser langen Tradition ist Merxhausen das älteste, bis heute durchgängig betriebene Krankenhaus für psychisch kranke Menschen in Deutschland.
(Kultur- und Geschichtsverein Bad Emstal/jda)



Philipp und Haina

Auch in Haina beginnt der Bau eines Klosters im 13.Jahrhundert, Zisterziensermönche siedeln sich dort an. Mitte des 14. Jahrhunderts ist die Klosteranlage vollständig erbaut, mit großen Waldflächen und umfangreichen Ländereien wird Haina zu einem bedeutenden und einflussreichen Kloster in Westdeutschland. Der bereits erwähnte Stiftungsbrief des Landgrafen Philipp macht aus dem ehemaligen Kloster 1533 – wenige Stunden nach der Stiftung in Merxhausen – ein Hohes Hospital mit der Bestimmung, nur männliche kranke und behinderte Menschen aufzunehmen. Erst 1975 wird diese Bestimmung aufgehoben, obwohl auch schon zuvor Patienten und Bewohner beiderlei Geschlechts Aufnahme fanden. Besondere Bedeutung für Haina hat seit jeher die Bewirtschaftung des Stiftungswaldes. In einer ersten – noch von Philipp erlassenen – "Ordnung für die Holzförsterei" wird schon im 16. Jahrhundert eine nachhaltige Waldwirtschaft vorgeschrieben. (jda)