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Grünes Licht für Wiedereingliederung: In der hessischen forensischen Psychiatrie ist eine vorbildliche Nachsorge entstanden

Frank K. lebt in einem Wohnheim für psychisch kranke Menschen in Hessen. Der 39-Jährige bekommt Medikamente, denn er leidet an einer schweren Psychose. Bereits mit 14 ist er das erste Mal gewalttätig geworden, es folgte eine lange Kette weiterer Gewaltdelikte, danach Aufenthalte in der Psychiatrie, schließlich Maßregelvollzug. Frank K. kann anderen gefährlich werden, wenn er seine Medikamente nicht nimmt, wenn er Alkohol trinkt und wenn die Stimmen in seinem Kopf wieder laut werden. Aber Frank K. kann auch ganz unauffällig leben, seiner Arbeit nachgehen, einkaufen, Musik hören. Weil auch das funktioniert, wenn er sein Leben und seine Krankheit im Griff hat, ist er ein typischer Patient der forensischen Fachambulanz, die hessenweit derzeit rund 340 psychisch kranke Rechtsbrecher nach deren Entlassung aus dem Maßregelvollzug betreut. Ein weiteres Arbeitsfeld der Fachambulanzen ist die Nachbetreuung suchtkranker Rechtsbrecher. Denn für diese Gruppe gilt: Solange sie nicht zu Suchtmitteln greifen, ist das Risiko gering, dass sie straffällig werden.


Wirksames Konzept

"Wir suchen die Patienten auf, prüfen, wie es um ihre psychische Erkrankung steht, ob es Anzeichen gibt, dass ein Patient rückfällig werden könnte", erläutert Roland Freese, der neben seiner Funktion als Ärztlicher Direktor der forensischen Klinik in Eltville auch die forensische Fachambulanz für psychisch kranke Rechtsbrecher leitet. Der Arzt, der bundesweit als einer der Experten für die Nachsorge von Forensikpatienten gilt, teilt seine Arbeitswoche auf die verschiedenen Standorte in Hessen auf – mal ist er in Gießen, das eng mit Schotten kooperiert, mal in Eltville und in der Institutsambulanz in Haina, zu der eine Außenstelle in Kassel gehört.

Ähnlich funktioniert auch die Arbeit mit suchtkranken Rechtsbrechern. Michael Bardel, Leitender Abteilungsarzt der Fachambulanz in Hadamar, schildert: "Unsere Teams wechseln ab, suchen einmal den Patienten in seiner Wohnung auf, lassen ihn das nächste Mal in die Ambulanz kommen." Mario Friedrich, Fachgesundheitspfleger in Hadamar, fügt hinzu: "Wir machen natürlich regelmäßig Drogenscreenings bei unseren Patienten."
Die Einrichtungen des Maßregelvollzugs, in Hessen in der Trägerschaft des LWV, schaffen mit ihren medizinischen und therapeutischen Maßnahmen die Basis dafür, dass solche Täter wieder in die Gesellschaft integriert werden können. Der Aufenthalt in einer der forensischen Fachkliniken wird vom Gericht angeordnet. Wie lange jemand im Maßregelvollzug bleibt, wird hingegen nicht festgelegt. Entscheidend dafür ist der Therapieerfolg. "Das wissen unsere Patienten. Deshalb liegt es auch in ihrem Interesse, mit uns zusammenzuarbeiten", fügt Freese hinzu. Im Durchschnitt bleiben psychisch kranke Rechtsbrecher vier Jahre im Maßregelvollzug, bevor ein Gericht sie der Führungsaufsicht der forensischen Fachambulanzen unterstellt. In dieser Zeit kümmert sich ein Team aus Ärzten, Psychologen, Pflegekräften, Ergotherapeuten und Sozialarbeitern um die Patienten. Der Vollzug wird Schritt für Schritt gelockert. Stehen am Beginn der Lockerungen Hofgang und Tätigkeiten im Haus, folgt am Ende irgendwann der Urlaub, schließlich der Schritt in die Ambulanz. "Wir betrachten uns sehr genau die Krankengeschichte jedes einzelnen. Denn meist lassen sich klare Muster erkennen, in welchen Situationen dieser Mensch zum Täter wird", so Freese.

Die Erfolge belegen die Wirksamkeit dieses Konzepts. Bei einer Studie, der insgesamt 750 Fälle zugrunde liegen, zeigte sich, dass nur sechs Prozent der Patienten erneut eine Straftat begingen. Die Mehrzahl dieser Straftaten hatte eindeutig mit der Erkrankung des Täters zu tun. "In anderen Bundesländern, bei denen es keine Nachsorge gibt, liegt diese Zahl bei rund 15 Prozent", betont Freese. Hessen ist damit zum Vorbild für ganz Deutschland geworden.

Es hat lange gedauert, bis die Rechtsgrundlagen für diese Form der Nachbetreuung geschaffen wurden. Bereits Ende der 80er Jahre hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich psychisch kranke und suchtkranke Rechtsbrecher in aller Regel nicht weiter behandeln lassen, sobald sie aus dem Maßregelvollzug entlassen werden. "Ein niedergelassener Psychiater sieht seine Patienten nicht in ihrem sozialen Umfeld. Die Patienten kommen zu ihm, er erhält die Informationen gefiltert vom Patienten", erklärt Freese. Zudem habe ein niedergelassener Psychiater keine rechtliche Handhabe, die Wohnung seines Patienten zu betreten. Gleiches gilt für die Verordnung von Medikamenten, für Drogenscreenings oder auch eine stationäre Einweisung. Aus dieser Erkenntnis folgte die Entscheidung, die Nachbehandlung in die Hände der forensischen Psychiatrie zu legen und entsprechende Nachsorgeeinrichtungen zu schaffen. Seit 2001 gibt es einen vom Land finanzierten Personalschlüssel, der besagt, dass ein Betreuer jeweils für elf Patienten zuständig ist.


Wichtiges Helfernetz

Die Abläufe für suchtkranke Rechtsbrecher lassen sich leichter strukturieren als für psychisch kranke Täter. Suchtkranke werden zunächst in der Klinik untergebracht, müssen erst ihre Therapie abschließen, bevor sie in die Dauerbelastungserprobung der forensischen Ambulanz überwiesen werden. "Vier bis sechs Wochen vor Beginn dieser Phase findet eine Art Vorstellungsgespräch statt, bei dem der zuständige Therapeut der Klinik dabei ist und das Team, das den Patienten ambulant betreuen soll", erläutert Friedrich. Dabei wird geklärt, was noch geleistet werden muss. Es geht um Fragen wie beispielsweise, ob der Patient eine Arbeitsstelle hat, wie er seine Freizeit gestalten kann. Das Team versucht, ein Helfernetz aufzubauen. Dann folgt die Dauerbelastungserprobung, die meist sechs bis acht Monate dauert. In dieser Zeit wird ausgelotet, ob der Patient Alltagsproblemen gewachsen ist, ohne wieder Drogen zu nehmen. Bevor der Patient auf Bewährung entlassen wird, erstellt das Team eine Prognose hinsichtlich des Verzichts auf Suchtmittelkonsum und Straffreiheit. "Darin schlagen wir auch Weisungen vor, beispielsweise die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe oder weiteren regelmäßigen Kontakt zur Ambulanz", erläutert Daniela Lambio, Sozialpädagogin in Hadamar.

Die forensische Fachambulanz für suchtkranke Rechtsbrecher hat Anfang 2000 den Betrieb aufgenommen und ist bundesweit die einzige, die als Fachabteilung arbeitet. Bis heute hat sie insgesamt 310 Patienten betreut. Derzeit arbeiten hier drei Teams, die jeweils aus einem Fachkrankenpfleger und einer Sozialpädagogin bestehen und sich um insgesamt etwa 85 Patienten kümmern.
Bei psychisch kranken Rechtsbrechern ist der Verlauf der Therapie höchst unterschiedlich. Deshalb muss die Führungsaufsicht auf jeden einzelnen abgestimmt werden. "Natürlich können unsere Patienten unter bestimmten Bedingungen gefährlich werden. Entsprechend genau wird in jedem Einzelfall geprüft, ob eine ambulante Betreuung überhaupt in Betracht kommt und in welchem sozialen Umfeld ein Patient angesiedelt wird", erklärt Freese. Und entsprechend genau müssen die Mitarbeiter der Fachambulanz ihre Patienten unter die Lupe nehmen, in Gesprächen mit Betreuern oder – deutlich seltener – mit Familienangehörigen klären, ob sich der Patient auffällig benimmt. Erst danach spricht der Betreuer mit dem Patienten selbst, macht sich ein Bild von dessen Selbstwahrnehmung.

Bereits im Vorfeld der ambulanten Betreuung wird in Gesprächen mit dem Patienten und den Betreuern der Maßregeleinrichtung geklärt, wohin der Patient sinnvoller Weise entlassen wird. "Häufig können diese Menschen wegen ihrer Deliktkarrieren nicht in ihr ursprüngliches soziales Umfeld, in ihre Familie zurück", weiß Freese. Die Delikte reichen von Brandstiftung und Körperverletzung bis hin zu Sexualstraftaten und Tötungsdelikten. "Wenn so jemand in seine Heimatgemeinde zurückkehrt, kann er nicht Fuß fassen."


Grün-Gelb-Rot

Die Fachambulanzen arbeiten nach dem so genannten Ampel-Prinzip: Nach dem genauen Studium der Krankheitsgeschichte und der Deliktkarriere jedes einzelnen Patienten wissen die Betreuer, worauf sie bei der Risikoprognose achten müssen. "Unsere Prognosen sind wesentlich genauer als die Wettervorhersage und sie erstrecken sich über einen deutlich längeren Zeitraum", sagt Freese ganz ohne Ironie. Im Durchschnitt statten die Betreuer jedem Patienten innerhalb von zwei Wochen einen Besuch ab. Steht die Ampel auf Grün – der Patient arbeitet gut mit, hält sich an das verbindlich vereinbarte Therapiekonzept – kommt der Betreuer seltener, manchmal nur einmal im Monat. Zeigt die Ampel Gelb – das Verhalten des Patienten ist nicht eindeutig, lässt sich nur schwer einschätzen – kommt der Betreuer mehrmals pro Woche, intensiviert die Gespräche mit dem Betroffenen und dessen Bezugspersonen, ändert möglicherweise die Therapie. "Da wird durchaus kontrolliert, ob der Patient Alkohol getrunken hat, wenn er nach Hause kommt", nennt Freese ein Beispiel. Denn gerade bei Psychosen erhöht Alkoholgenuss das Risiko eines Rückfalls enorm. Meist holen sich die Betreuer in dieser Situation Rat und Unterstützung im Team. "Wenn es um die medizinische Seite geht, wendet sich der Betreuer an den Facharzt im Team, bei anderen Themen ist der Sozialarbeiter gefragt", so Freese. Springt die Ampel auf Rot, wird der Patient sofort stationär aufgenommen.

Für Freese und Bardel steht fest: Das Konzept erhöht die Sicherheit der Bevölkerung, steigert die Motivation zur Mitarbeit der Patienten bei der Therapie und spart Kosten, weil es bei vielen Betroffenen dazu führt, dass sie nicht dauerhaft in Fachkliniken untergebracht werden müssen, deren Plätze knapp sind. Wie erfolgreich die Fachambulanzen arbeiten, zeigt sich auch an anderer Stelle: Immer häufiger haben es die Mitarbeiter mit Menschen zu tun, die von Gerichten an die Einrichtungen verwiesen werden, weil sie im Strafvollzug oder in der Bewährungshilfe durch ihr mangelndes Sozialverhalten auffallen. "Da hat uns die allgemeine Psychiatrie entdeckt und drängt mit Macht", sagt Freese. Er betont: "Ohne Idealismus ist die Arbeit nicht zu machen. Denn die meisten Hausbesuche finden außerhalb der regulären Dienstzeit statt." Hinzu kommt, dass seine Mitarbeiter so manchen Patienten auch weiter betreuen, wenn die Justiz nach Ablauf von rund fünf Jahren von einer dauerhaften Führungsaufsicht absieht. "Wir haben etwa 100 solcher Patienten, bei denen wir das für sinnvoll halten", so Freese.

Bei Frank K. steht die Ampel auf Grün, seine Stimmen haben sich lange nicht mehr gemeldet. Zu seinem Betreuer hat er ein sehr vertrauensvolles Verhältnis. Derzeit suchen sie gemeinsam nach einem niedergelassenen Psychiater, der nach Ende der Führungsaufsicht die Therapie Frank K.’s weiterführen soll.
Stella Dammbach