Logo LWVblog

Sozialgesetzbuch IX novelliert - gewachsene Verantwortung für Integrationsämter

Im Mai dieses Jahres trat das "Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen" in Kraft, mit dem u. a. auch das Sozialgesetzbuch (SGB) IX novelliert wurde. LWV-Info informiert im Folgenden knapp über die wichtigsten aus der Fülle der gesetzlichen Änderungen und befragt den Zielgruppenmanager des ZGM "Behinderte Menschen im Beruf/Integrationsamt", Walter Pohl. Die Fragen drehen sich um die Auswirkungen des Gesetzes auf die Arbeit des LWV-Integrationsamtes sowie die Erfahrungen des ersten halben Jahres. Außerdem geht es um eine Einschätzung, ob die gesetzlichen Änderungen tatsächlich geeignet sind, die betrieblichen Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche mit Behinderungen zu verbessern und die Zahl der schwerbehinderten Beschäftigten auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erhöhen.

Geschützter Personenkreis

Eine wesentliche Änderung ist, dass der so genannte geschützte Personenkreis um behinderte Jugendliche und junge Erwachsene, deren Behinderung noch nicht anerkannt ist oder deren Behinderungsgrad unter 30 liegt, für den Zeitraum ihrer Ausbildung erweitert wurde. Der Arbeitgeber kann bei der Erhebung der Ausgleichsabgabe für behinderte Jugendliche und junge Erwachsene eine Mehrfachanrechnung, d. h. die Anrechung dieses Auszubildenden auf mehrere Pflichtarbeitsplätze, geltend machen. Diese Regelung gilt auch für Arbeitnehmer, die aus einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) übernommen werden.

Beschäftigungsquote und Ausgleichsabgabe

Bezüglich der Beschäftigungsquote hat sich auch einiges geändert: So wurde die Beschäftigungsquote auch über den 31.12.2003 hinaus auf 5 % festgeschrieben. Dies bedeutet, dass private und öffentliche Arbeitgeber, die im Jahresdurchschnitt pro Monat wenigstens 20 Arbeitsplätze bieten, 5 % davon mit schwerbehinderten Arbeitnehmern besetzen sollen. Für einen Umfang zwischen 20 und 60 Arbeitsplätzen gibt es abweichend davon eine so genannte Kleinbetriebsregelung. Danach müssen Betriebe mit 20 bis 40 Arbeitsplätzen "nur" einen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, Betriebe bis 60 Arbeitsplätze zwei. Bei z. B. 40 Mitarbeitern wären es ansonsten "schon" zwei.

Die gestaffelte Ausgleichsabgabe bleibt bestehen. Sie beträgt pro unbesetzten Pflichtplatz

  • 105 Euro bei einer Beschäftigungsquote ab 3 % bis unter 5 %,

  • 180 Euro bei einer Beschäftigungsquote ab 2 % bis unter 3 % und

  • 260 Euro bei einer Beschäftigungsquote unter 2 %.

Besonderer Kündigungsschutz

Im Rahmen des besonderen Kündigungsschutzes entfällt – nach der Neuregelung – bei der Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers die Stellungnahme des zuständigen Arbeitsamtes. Über Kündigungsanträge von Betrieben in Insolvenz oder bei Dienststellen, die aufgelöst werden, muss das Integrationsamt innerhalb eines Monats nach Eingang entscheiden. Geschieht dies nicht während dieser Frist, gilt die Zustimmung automatisch als erteilt.

Integrationsämter

Eine ganze Reihe neuer Aufgaben beschert die Gesetzesnovelle den Integrationsämtern. So wurde ihnen die so genannte Strukturverantwortung für die Integrationsfachdienste (IFD) übertragen. Waren die Integrationsämter bislang für die einzelne Beauftragung der IFD verantwortlich, sind sie es jetzt übergreifend. Das bedeutet u. a., dass sie für eine flächendeckende einheitliche Einrichtung von IFD Verantwortung tragen und so etwa die Zusammenarbeit und Vernetzung steuern, Regeln der Qualitätssicherung oder Ergebnisdokumentation sicherstellen müssen. Zudem wurde die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter mit dem neuen Gesetz verpflichtet, mit der Bundesagentur für Arbeit (BAA) und den anderen Rehabilitationsträgern eine gemeinsame Empfehlung zur Heranziehung und Kostenträgerschaft zu erarbeiten.
Weitere Aufgaben, die den Integrationsämtern zufallen, sind die Unterstützung der BAA bei der Berufsorientierung und der Berufsberatung an Schulen, die Zusammenarbeit mit Handwerkskammern und anderen berufsständischen Organisationen, als Ansprechpartner für die Arbeitgeber zur Verfügung zu stehen.

In Verbindung mit dem neuen SGB IX steht auch die neue Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe-Verordnung, die bereits zum Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist. Danach müssen die Integrationsämter nicht mehr wie bisher 45 % der Ausgleichsabgabesumme an den Bund abgeben, sondern nur noch 30 %.

LWV-Info: Herr Pohl, wie ist nach mehr als einem halben Jahr Ihre Einschätzung: Ist das Gesetz geeignet, die berufliche Situation von Jugendlichen und Erwachsenen mit Behinderungen nachhaltig zu verbessern? Wo liegen Ihres Erachtens die besonderen Stärken, wo die Schwächen?

Walter Pohl: Das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen ist am 1. Mai 2004 in Kraft getreten. Eine Bewertung, ob damit die berufliche Situation von jugendlichen und erwachsenen Menschen mit Behinderungen nachhaltig verbessert werden kann, kann zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht vorgenommen werden. Mit Sicherheit ist der Ausbau der Prävention und das betriebliche Eingliederungsmanagement sowie die verbesserten finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten im Rahmen der Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen eine wichtige Voraussetzung, die Beschäftigung zu sichern. Ob und inwieweit die gesetzlichen Änderungen tatsächlich zu erhöhter Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen führen, bleibt abzuwarten. Hier gilt insgesamt, dass die konjunkturelle gesamtwirtschaftliche Lage auch auf die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen durchschlägt. Dies bedeutet, dass zur Zeit mehr Arbeitsplätze ab- als aufgebaut werden.

LWV-Info: Herr Pohl, wenn man das neue Gesetz betrachtet, berühren wesentliche Änderungen die Pflichten und Rechte der Arbeitgeber. Können Sie uns sagen, wie hessische Arbeitgeber das neue Gesetz beurteilen?

Walter Pohl: Zu dieser Frage könnten natürlich am besten Vertreter der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände oder sonstige Arbeitgebervereinigungen Stellung nehmen. Aus mehrfachen Gesprächen mit Vertretern der Arbeitgeber ist mir jedoch bekannt, dass grundsätzlich gesetzliche Regelungen, die den Arbeitgebern auch Pflichten auferlegen, weniger positiv beurteilt werden. So dürfte es wahrscheinlich auch mit der Novellierung des SGB IX sein. Insbesondere verunsichern die neuen Regelungen zur Prävention und dem betrieblichen Eingliederungsmanagement. Mit dem Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen hat der Gesetzgeber jedoch Anreize zur Verbesserung der Ausbildungs- und Beschäftigungssituation geschaffen. Insgesamt wird mit dem Gesetz der Wunsch verbunden, mehr Arbeitsplätze schwerbehinderter Menschen und behinderter Jugendlicher im Arbeitsleben zur Verfügung zu stellen.

LWV-Info: Den Integrationsämtern fallen insbesondere mit Blick auf die Integrationsfachdienste neue Verantwortung und Aufgaben zu. Erachten Sie diesen Zuwachs bei den Integrationsämtern als sinnvoll ?

Walter Pohl: Es ist sinnvoll, die Aufgabenbereiche Sicherung und Vermittlung bei den Integrationsfachdiensten zu bündeln und die Strukturverantwortung hierfür den Integrationsämtern zu übertragen. Dies bedeutet, dass auf die Integrationsämter neue Aufgaben zukommen. Es gilt die Vernetzung zu steuern, die Ergebnisdokumentation sicherzustellen, die Qualitätssicherung durch ein einheitliches Qualitätssicherungskonzept festzulegen. Hier arbeiten wir in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter mit, um einheitliche und verbindliche Kriterien zur Beauftragung, Steuerung sowie zur Finanzierung und Ausstattung der Integrationsfachdienste festzulegen.
Die neuen Rahmenbedingungen werden zurzeit erarbeitet.

LWV-Info: Bedeutet das für Sie und Ihr Team Mehrarbeit und -belastung?

Walter Pohl: Aufgrund der gesetzlichen Änderungen kommt hier Mehrarbeit auf uns zu, die genaue Höhe der Mehrbelastungen lässt sich zur Zeit noch nicht abschätzen. Wir sind jedoch sehr bemüht, den Verwaltungsaufwand möglichst gering zu halten und mit den Trägern der IFD aufwandsarme Kooperationen zu vereinbaren.

LWV-Info: Bei einigen der Aufgaben, die das Gesetz den Integrationsämtern zuschreibt, gewinnt man hingegen den Eindruck, dass Sie und Ihre Mitarbeiter diese bereits seit Langem wahrnehmen, wie beispielsweise die Zusammenarbeit mit verschiedenen berufsständischen Organisationen oder verschiedene Beratungstätigkeiten. Ist dieser Eindruck richtig?

Walter Pohl: Sie haben Recht. Wir arbeiten mit den Arbeitgebern, den schwerbehinderten Menschen, den Schwerbehindertenvertretungen und den Betriebsräten sowie den Arbeitgeberverbänden usw. partnerschaftlich zusammen. Hierbei ist es wichtig, über die Chancen und Möglichkeiten des Gesetzes aufzuklären, um damit langfristig die Bereitschaft zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen zu fördern.

LWV-Info: Nach der neuen Ausgleichsabgabe-Verordnung müssen Sie einen geringeren Teil als bislang an den Bund abgeben. Wie ist das Ausgleichsabgabe-Aufkommen, haben Sie nun mehr Geld „im Topf“? Finanziert der Bund im Gegenzug an anderer Stelle weniger?

Walter Pohl: Es ist richtig, dass sich die Mittel der Ausgleichsabgabe dadurch erhöhen, das wir nicht wie bisher 45 %, sondern nur noch 30 % an den Bund in den Ausgleichsfonds abführen müssen. Der Bund hat sich andererseits jedoch aus der Finanzierung zurückgezogen, so dass die erhöhte Ausgleichsabgabe insbesondere für Integrationsprojekte und institutionelle Förderung benötigt wird.

LWV-Info: Herr Pohl, wir danken Ihnen für das Gespräch. (rvk)