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„Licht und Schatten“ – Sozialgesetzbuch XII löst Bundessozialhilfegesetz ab

Neue Rechtsgrundlage auch für die Eingliederungshilfe

Sie war zusammen mit der Reform der Leistungen bei Arbeitslosigkeit Teil eines Reformpaketes von über zehn Gesetzen, die Ende 2003 im Vermittlungsausschuss beraten und verabschiedet wurden: Die Sozialhilfereform. Seit dem 1. Januar dieses Jahres gilt es nun, das neue Sozialgesetzbuch Teil XII (SGB XII), und löst das seit 1962 geltende Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ab. Geregelt werden darin neben der Hilfe zum Lebensunterhalt, der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege auch die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Veränderungen ergeben sich insbesondere bei den Einkommens- und Vermögensgrenzen sowie bei der Heranziehung Unterhaltspflichtiger. Außerdem wurden die Vorschriften zum Persönlichen Budget durch das SGB XII weiterentwickelt. Was das neue Gesetz für behinderte Menschen und für den LWV bedeutet, darüber sprach LWV-Info mit Katharina Daume, Leiterin des Fachlichen Service SGB XII und derzeit auch kommissarische Leiterin der Steuerung des SGB XII-Bereichs, und ihrem Stellvertreter Neidhard Heinemann, zuständig für den Bereich „Grundsatzangelegenheiten“.

LWV-Info: Frau Daume, Herr Heinemann, seit Januar gilt das neue SGB XII – wie waren die Erfahrungen mit dem alten BSHG und warum wurde es nun in das Sozialgesetzbuch eingegliedert?


Neidhard Heinemann:
Wir haben über viele Jahrzehnte mit dem Bundessozialhilfegesetz gelebt und danach gearbeitet. Das BSHG hatte mit Inkrafttreten im Jahr 1962 den alten Fürsorgegedanken abgelöst – und das war ein großer Schritt nach vorn: Das „Verteilen von Almosen“ wurde abgelöst durch einen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe, die Grundbedürfnisse der Menschen sollten mit dem Gesetz abgedeckt werden. Diese Aufgabe hat das BSHG über die Jahrzehnte auch gut erfüllt. Es kam dann aber, was die Begrifflichkeiten und die Modalitäten betrifft, ein wenig in die Jahre. Deshalb war es richtig, das BSHG abzulösen und es in das Sozialgesetzbuch für die Bundesrepublik Deutschland einzuordnen.

Katharina Daume: Die Teile des SGB sind jetzt aufeinander abgestimmt, wobei das alte BSHG eingeordnet worden ist – aufgeteilt in das SGB XII für die Nichterwerbsfähigen und in das SGB II für die Erwerbsfähigen. Außerdem wurden die Sprachregelungen in den einzelnen Teilen einander angepasst. Und die Struktur des SGB XII ist klar erkennbar.


LWV-Info:
Was sind die wesentlichen Änderungen in den für den LWV wichtigen Bereichen?


Katharina Daume:
Änderungen gibt es bei den Einkommens- und Vermögensgrenzen, ebenso im unterhaltsrechtlichen Bereich. Auch wurden, beispielsweise im § 97, die Zuständigkeiten klar und eindeutig geregelt: So wird ab 2007 der überörtliche Träger der Sozialhilfe voll umfassend zuständig sein für die Eingliederungshilfe, für die Hilfe zur Pflege, für Hilfen für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten und für die Blindenhilfe. Diese Zuständigkeit ist in Hessen allerdings durch das Ausführungsgesetz zum SGB XII verändert worden. Neu ist auch eine Darlehensregelung für die Zuzahlungen im Gesundheitswesen, das ist beispielsweise die Praxisgebühr. Überdies sind die Regelsätze angepasst worden – dafür sind allerdings die Weihnachtsbeihilfe und viele einmalige Beihilfen für Bekleidung, Hausrat etc. weggefallen. Und nicht zuletzt ist das Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung eingearbeitet worden.


LWV-Info:
Was bedeuten die Leistungsänderungen für die Betroffenen?


Katharina Daume:
Zum Beispiel sind die Einkommensgrenzen herabgesetzt worden: von 853 auf 690 Euro. Dadurch werden diejenigen, die kurzfristig stationär untergebracht werden, früher in Anspruch genommen. In der Vergangenheit hatten wir unterschiedliche Grenzen, nun gibt es nur noch eine einheitliche Einkommensgrenze.


LWV-Info:
Hat der Gesetzgeber versucht, diese Belastungen durch den Einsatz eigenen Einkommens abzumildern?


Neidhard Heinemann:
Um die Belastungen zumindest für Menschen, die blind oder schwerstpflegebedürftig sind, etwas abzumildern, hat der Gesetzgeber in das SGB XII aufgenommen, dass diese Personen aus ihrem Einkommen, das über der Einkommensgrenze liegt, nicht zu 100 Prozent, sondern zu höchstens 40 Prozent in Anspruch genommen werden dürfen. Also bleibt diesem Kreis der Hilfeempfänger 60 Prozent des über der Einkommensgrenze liegenden Anteiles zu seiner Verfügung. Ansonsten sind es bei langfristigen Aufenthalten in stationären Einrichtungen, das heißt, länger als ein halbes Jahr Betreuungsbedürftigkeit, 100 Prozent, bei kurzfristigen Aufenthalten 80 Prozent. Außerdem ist die Vermögensgrenze von 2.301 auf 2.600 Euro heraufgesetzt worden.

Katharina Daume: Neu ist auch, dass der so genannte Zusatzbarbetrag, das ist eine besondere Form des Taschengeldes in Höhe von maximal rund 30 Euro, den die Leistungsberechtigten bekommen, wenn sie sich mit eigenem Einkommen an den Kosten der Hilfe zur Pflege oder der Eingliederungshilfe beteiligen, künftig wegfällt. Die Menschen, die diesen Zusatzbarbetrag bis Jahresende bekommen haben, erhalten ihn zwar weiterhin, bis sie aus der Einrichtung herausgehen, hingegen nicht diejenigen, die neu leistungsberechtigt sind. Das heißt, es können sich in einer Einrichtung Menschen befinden, die den Zusatzbarbetrag noch erhalten und andere, die nichts mehr bekommen. Das ist allerdings nicht besonders förderlich für den Heimfrieden.


LWV-Info:
Stichwort Grundsicherung, was hat sich in diesem Bereich verändert?


Neidhard Heinemann:
Der Gesetzgeber hat mit der neuen Sozialgesetzgebung zwei Bereiche der Grundsicherung geschaffen: Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, die sich jetzt im Kapitel IV des SGB XII wiederfindet, und die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Für diesen Bereich ist ein eigenständiges Leistungsgesetz innerhalb des SGB geschaffen worden, nämlich das SGB II, die so genannte Hartz IV-Gesetzgebung.
Das Kapitel IV im SGB XII soll im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung vor Armut schützen, also die Grundabsicherung der Menschen sicher stellen, die nicht oder zu wenig eigene Alters- oder Rentenansprüche erworben haben, und ist somit das Auffangnetz für die Menschen, die durch die sozialen Sicherungssysteme gefallen sind oder von ihnen nur unzureichend getragen werden.
Mit den Leistungen nach SGB II haben wir, was die Ausführung des Gesetzes anbelangt, nichts zu tun. Wir nehmen aber das Arbeitslosengeld II in Anspruch, wenn diejenigen, die diese Leistungen bekommen, wegen einer Eingliederungshilfemaßnahme oder Hilfe zur Pflege stationär betreut werden. Das Arbeitslosengeld II wird wie ein Arbeitseinkommen behandelt. Mit dem Bereich, der im Kapitel IV des SGB XII geregelt wird, haben wir allerdings sehr viel zu tun, jedenfalls für den Personenkreis, der sich stationär in Betreuungseinrichtungen befindet, die vom LWV als überörtlichem Sozialhilfeträger finanziert werden. Für diesen Personenkreis sind wir auch Grundsicherungsträger.


LWV-Info:
Gibt es im neuen SGB XII innovative Ansätze?


Katharina Daume:
Ja, durchaus, und zwar beim so genannten Persönlichen Budget. Persönliches Budget heißt, die Leistungsempfänger bekommen ein bestimmtes Budget, über das sie selber verfügen und sich ihre Hilfen, also die Leistungen, die sie persönlich benötigen, selber organisieren können. Zuvor wird eine Zielvereinbarung getroffen, in der u. a. festgelegt wird, wofür die Gelder verwendet werden und welche Nachweise erbracht werden müssen. Ein solches Persönliches Budget haben viele Behindertenorganisationen gefordert, aber diese Möglichkeit wird noch nicht sehr häufig in Anspruch genommen.


LWV-Info:
Woran liegt das?


Katharina Daume:
Das kann an der gesetzlichen Ausgestaltung liegen oder aber auch an anderen Hindernissen, vielleicht daran, dass manche sich die benötigten Hilfen gar nicht organisieren können. Manche sind vielleicht auch abgeschreckt, eine bindende Zielvereinbarung unterschreiben zu sollen, aber das ist jetzt Spekulation. Die Umsetzung muss auch erst mal anlaufen.


LWV-Info:
Zum Persönlichen Budget gibt es in Hessen ja auch zwei Bundesmodellprojekte – wird sich der LWV daran beteiligen?


Katharina Daume:
Die Bundesmodellprojekte werden in den Landkreisen Marburg-Biedenkopf und Groß-Gerau durchgeführt. Das Land hat sich ebenfalls als Projektleiter eingeschaltet. Mit dem LWV soll eine Vereinbarung erarbeitet werden, wie er sich einbringen wird. Dazu gab es bereits eine Besprechung im Januar, eine weitere war für den 3. März geplant.


LWV-Info:
Ein innovativer Schritt wäre auch gewesen, ein eigenständiges Leistungsrecht für die Eingliederungshilfe zu schaffen ...


Neidhard Heinemann:
Ja, wir hatten uns eigentlich erhofft, dass – wenn jetzt nun schon mal eine grundlegende Neuordnung des Sozialhilferechts und des Sozialrechts vorgenommen wird – auch auf die seit langem erhobene Forderung der überörtlichen Sozialhilfeträger eingegangen wird, ein eigenständiges Leistungsrecht für die Eingliederungshilfe zu schaffen. Das wäre wirklich ein innovativer Schritt nach vorne gewesen. Aber dazu hat sich der Gesetzgeber, wohl aus finanziellen Gründen, nicht durchringen können.
Hintergrund unserer Forderung: Im Bereich der Eingliederungshilfe steigen die Fallzahlen und damit auch die Kosten exorbitant. Das hat auch damit zu tun, dass durch das NS-Regime und durch die NS-„Euthanasie“-Morde ganze Jahrgänge von Behinderten fehlen, so dass die Alterspyramide hier immer noch im Aufbau begriffen ist. Dies und andere Gründe führen dazu, dass wir in der Eingliederungshilfe jedes Jahr über 1.100 Fälle dazu bekommen. Das stellt alle Sozialhilfeträger vor enorme finanzielle Herausforderungen. Die Finanzierung dieser Hilfe macht allen Trägern sehr zu schaffen. Angesichts dessen hätten wir uns ein eigenständiges Leistungsgesetz des Bundes – auch mit Beteiligung des Bundes an der Finanzierung – wirklich erhofft, aber dazu ist es leider nicht gekommen.
So beschränken sich die innovativen Ansätze im SGB XII auf die Ausweitung des Persönlichen Budgets, viel mehr Innovatives kann man nicht feststellen.


LWV-Info:
Welche Auswirkungen hat das neue SGB XII auf die Arbeit in den Zielgruppenmanagements des LWV?


Katharina Daume:
Da das neue SBG XII eine völlig andere Systematik hat, findet man nichts mehr an der alten Stelle. Es ist ein völlig neues Gesetz, das auch unsere Sachbearbeiter erlernen und verinnerlichen müssen. Nicht nur die Sprachregelungen sind neu, auch die ganzen Bezugsparagraphen haben sich geändert. Darüber hinaus stehen einige Bestimmungen zwar nicht mehr an der alten Stelle, haben sich aber inhaltlich nicht oder nur unwesentlich geändert. Und bei anderen Bestimmungen haben sich nicht nur die Bezugsparagraphen geändert, sondern auch die Inhalte. So ist es schon eine gewaltige Aufgabe für die Einzelfallsachbearbeiter, sich auf das neue Gesetz einzustellen.


LWV-Info:
Wie haben Sie sich auf die Gesetzesänderung vorbereitet?


Katharina Daume:
Umfassende Vorbereitungen gab es zuerst in unserem Bereich, dem Fachlichen Service. Wir mussten uns ja erst mal selber informieren, dazu gab es unter anderem zwei Klausurtagungen im April und im Oktober vergangenen Jahres. Da haben wir das alte BSHG und das SGB XII sowie das Ausführungsgesetz zum SGB XII gegenübergestellt, Änderungen zusammen getragen, und auch die vier Schulungen entwickelt, in denen die Sachbearbeiter vorbereitet wurden. Dann mussten die Rundschreibensammlung geändert und das gesamte Texthandbuch überarbeitet werden, da sind wir auch immer noch dabei. In Papier ausgedruckt umfasst das so genannte Texthandbuch, also die Vordrucke, die den Sachbearbeitern die Textverarbeitung und die Bescheiderteilung erleichtern, einen prall gefüllten Aktenordner. Auch die Bescheide selbst mussten/müssen neu konzipiert werden. Und dann noch die Neuregelung im Betreuten Wohnen, ja, das war schon eine Mammutaufgabe. Wir stehen übrigens vor den nächsten Änderungen: Es wird wahrscheinlich ein Verwaltungsvereinfachungsgesetz geben, welches das SGB XII noch einmal verändern wird, rückwirkend zum 1.1.2005. Das heißt, wir gehen davon aus, dass noch mal einige – wenn auch kleinere – Anpassungen vorgenommen werden müssen.


LWV-Info:
Wie verlief die Einführung des SGB XII beim LWV in den ersten Wochen?


Neidhard Heinemann:
Wir sind mit der Einführung und Umsetzung eigentlich erst mal zufrieden, das ist relativ ruhig gelaufen. Aber es kann ja durchaus noch einiges nachkommen, Probleme, die sich nach und nach aus der Rechtsanwendung ergeben.


LWV-Info:
Frau Daume, Herr Heinemann, wir danken Ihnen für das Gespräch.


Gundula Zeitz/(jda)