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"Das ist alles Zukunftsmusik"

Das Atelier Goldstein in Frankfurt hat ein ehrgeiziges Konzept: Es ebnet Menschen mit geistiger und seelischer Behinderung den Weg auf den professionellen Kunstmarkt. Statt Hobbykunst werden hier faszinierende und hochkarätige Werke produziert. Das Persönliche Budget ist dabei ein riesiger Fortschritt: Das Geld für die Begleitung im Atelier bekommen die Künstler vom LWV direkt ausgezahlt. Damit können sie nun ganze Tage im Atelier verbringen, an den übrigen Tagen arbeiten sie in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung.

 


 

"Das ist alles Zukunftsmusik"

 

FRANKFURT. Das Atelier Goldstein der Lebenshilfe e. V. im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen fördert und managt herausragende Künstler und Künstlerinnen mit geistiger oder psychischer Behinderung. Seit dem 1. Juni 2011 unterstützt der LWV Hessen die Künstlerinnen und Künstler durch das „Persönliche Budget“.

„Das ist alles Zukunftsmusik“, erklärt Hans-Jörg Georgi seine künstlerische Arbeit. Hans-Jörg Georgi baut Flugobjekte. Eine sechsstöckige Boing zum Beispiel mit Wärmespeicher und solarbetriebenen Propellern. Sie steht neben seinem Arbeitsplatz, an dem er gerade eine neue Konstruktion umsetzt. Jedes Objekt entsteht nach einem genauen Plan. Im Obergeschoss des Ateliers ist eine ganze Flotte seiner Flugzeuge geparkt. Alle Objekte sind einzigartig, Modelle mit Ecken, Kanten und Dellen, grau in grau, faszinierend und irritierend zugleich. „Obsessiv arbeitet er an einem Werk über Freiheit – und gewinnt sie dabei“, informiert der Künstlerkatalog des Ateliers.

Hans-Jörg Georgi ist einer von zur Zeit siebzehn Künstlern und Künstlerinnen im Alter von 15 bis 62 Jahren, die im Atelier Goldstein Raum, Zeit und Unterstützung für ihre Arbeit finden. Seit dem Jahr 2001 engagiert sich ein Team aus Künstlern und Kunstpädagogen in den Bereichen Malerei, Plastik, Zeichnung, Modellbau, Rauminstallation, Fotografie, Video und experimentelle Musik sehr erfolgreich für Künstler und Künstlerinnen mit geistiger und psychischer Behinderung. Christiane Cuticchio, Initiatorin und Leiterin des Ateliers: „Im Atelier Goldstein ist Behinderung in vielerlei Hinsicht so abwesend wie selten in der Gesellschaft.“

 

DER MENSCH ALS FREIER KÜNSTLER

Tatsächlich steht der Mensch als freier Künstler im Mittelpunkt des Atelierauftrags. „Wir verstehen uns als eine Kombination aus künstlerischer Betreuung und Künstleragentur. In unserer fördernden Arbeit geht es uns nicht darum, unsere Künstler in vorgedachte Bahnen zu lenken“, sagt die Kunstpädagogin Melanie Schmitt, „im Gegenteil, wir unterstützen sie dabei, ihr ureigenes Potenzial für die Realisierung ihrer Werke zu nutzen.“ Nicht Beschäftigungstherapie ist Inhalt und Ziel des Ateliers, sondern die Unterstützung des Künstlers hin zu persönlicher Entwicklung und zum beruflichen Erfolg. Die Aufnahmekriterien für einen Platz im Atelier Goldstein nennt Melanie Schmitt: „Eine künstlerische Begabung, gepaart mit einem Thema, einer Liebe, einem Interesse oder einer Fragestellung, denen der Künstler mittels seiner künstlerischen Arbeit auf den Grund geht.“

 

PERSÖNLICHES BUDGET

Alle Künstler, die heute einen Platz im Atelier haben, arbeiteten zuvor schon intensiv an ihren Themen. Zu ihrer eigentlichen Berufung kamen sie allerdings zunächst in ihrer freien Zeit, im Anschluss an einen Arbeitstag in ihren Werkstätten. Seit dem 1. Juni 2011 können die Goldstein-Künstler an zwei Wochentagen ganztags im Atelier arbeiten. „Dass ich jetzt den ganzen Tag dranbleiben kann, das ist schön“, sagt Hans-Jörg Georgi. Möglich wurde dies durch das Persönliche Budget, das seit 2008 von Menschen mit Anspruch auf Teilhabeleistungen rechtlich geltend gemacht werden kann. Der gesetzlichen Regelung liegt die Idee zugrunde, dass ein Persönliches Budget das Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Menschen stärkt. Teilhabeleistungen bieten behinderten Menschen die Möglichkeit, ihre Belange eigenständig zu gestalten, voranzubringen und weiterzuentwickeln. Anstatt traditioneller Dienst- oder Sachleistungen können sie nun Geldmittel erhalten, mit denen sie selbstgewählte Dienste und unterstützende Personen bezahlen. Damit verändert sich nicht nur ihre Position vom Leistungsempfänger hin zum auftraggebenden Kunden; Menschen, die ihr Persönliches Budget in Anspruch nehmen, wachsen an der neuen Verantwortung und entwickeln ein stärkeres Selbstbewusstsein. Christiane Cuticchio kann das bestätigen. „Wir erleben unsere Künstler viel konzentrierter und motivierter. Sie freuen sich sichtbar und sind glücklich, dass sie so viel neue Zeit mit ihrer künstlerischen Arbeit verbringen können.“
Das Atelier Goldstein erbringt dazu ganz konkrete Leistungen, die von den Künstlern mit ihrem Persönlichen Budget eingekauft werden können. Dazu gehören die personelle und räumliche Ausstattung, psychosoziale Betreuung, Beratung, themen- und technikspezifische Intensivworkshops, Kooperationsprojekte im In- und Ausland sowie die Agenturarbeit zur künstlerischen Anerkennung und Bereitstellung eines Netzwerkes zum Übergang von behinderten Künstlern auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Keiner der Künstler könnte von sich aus Kontakte zu Galerien oder Ausstellungshallen herstellen. Durch die Arbeit des Ateliers wird das möglich.

 

MEINE ARBEIT TUN

Hans-Jörg Georgi sagt: „In der Werkstatt ist es oft langweilig. Hier habe ich immer meine Arbeit zu tun.“ Ihre Arbeit tun können heißt für die Goldstein- Künstler: Die eigene Kunst schaffen, darin aufgehen oder sie als Entwicklungsprozess zum Heilwerden nutzen. So wie der 25-jährige Julius Bockelt, der auf geniale Weise physikalische Gesetze mit dem Fineliner einfängt und Selbermann, der Mann, der sich seinen Namen selber gab, alias Georg Vaternahm, ein Künstler mit fotografischem Gedächtnis, dessen Lieblingsmotive Frauen und Türme sind, die er zu ganzen Installationsräumen wandelt. Oder Christa Sauer, die mit Tusche und Acryl ornamentale Farbwelten schafft, die über die Leinwand auf Möbelstücke wandern, und Birgit Ziegert, in deren Händen jeder Gegenstand zum Teil eines Kunstwerkes wird. Eine Arbeit, fantastisch, bunt und fröhlich wie das Wesen der Künstlerin selbst.

 

ERFOLGREICH AM KUNSTMARKT

Die professionelle Agenturarbeit des Ateliers Goldstein öffnet den Künstlern die Türen zum Kunstmarkt. Ausstellungen in der Schirn Kunsthalle und im Architekturmuseum, beide in Frankfurt, und in nationalen und internationalen Museen legen Zeugnis ab über den Wert der Werke. Ein Blick auf die Internetseite des Ateliers lohnt: www.ateliergoldstein.de.
„Das Projekt Persönliches Budget wird unseren Goldstein-Künstlern viel mehr Möglichkeiten eröffnen“, sagt Christiane Cuticchio. „Ich danke dem LWV für die großartige Zusammenarbeit.“ LWVRegionalmanager Thomas Knierim nennt gute Gründe für das Engagement: „Im Atelier Goldstein arbeiten Menschen mit Behinderungen, für die ihre künstlerische Betätigung ein zentraler Bestandteil ihres Lebens ist. Mit dem Persönlichen Budget ermöglichen wir es ihnen, die erforderliche Unterstützung zu bekommen und damit ihre Vorstellungen von einem selbstbestimmten Leben zu verwirklichen. Damit wird Teilhabe verwirklicht.“

Sigrid Krekel