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LWVkonkret 04/2016

Harter Weg zum Ziel

 

Maria Ulrich arbeitet als Regieassistentin bei einer TV-Produktionsfirma. Die Sozialtherapie unterstützt sie im Betreuten Wohnen. Rückhalt bekommt sie auch von ihrem Chef.

 

KASSEL.  In den Büroräumen der Film und TV-Produktionsfirma jojo.tv am Kulturbahnhof Kassel herrscht kreatives Chaos. Viele der laufenden Projekte stapeln sich auf den Schreibtischen. Dazwischen sitzt Maria Ulrich. Nach einem Praktikum zur Wiedereingliederung erhielt die ausgebildete Mediengestalterin für Bild und Ton eine Festanstellung als Produktionsassistentin. "Es ist mein absoluter Traumjob", freut sich die heute 29-jährige Kasselerin.

Der Weg zum Traumjob war nicht leicht, denn Ulrich fand nach dem Ende ihrer Ausbildung im Januar 2010 keine Stelle in München, wo sie damals lebte. Deswegen war sie sechs Jahre in anderen Berufen wie der Altenpflege und im Einzelhandel beschäftigt. In dieser Zeit ging es ihr zunehmend schlechter. Ulrich litt an Schmerzen im Unterbauch und an Erschöpfung, weshalb sie beschloss, zurück in ihre Heimat zu ziehen.

An der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Kassel ließ sie sich untersuchen. Während der 3-monatigen stationären Behandlung wurden eine Depression und eine Endometriose (schmerzhafte Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut) diagnostiziert.

 

"NICHT IRGENDETWAS MACHEN"

Ulrich absolvierte eine Wiedereingliederungsmaßnahme des Beruflichen Trainingszentrums (BTZ) Kassel. Ziel ist es, die Teilnehmer wieder fit für den allgemeinen Arbeitsmarkt zu machen. Während der Maßnahme sammelte Maria Ulrich drei Monate Erfahrung in Bereichen wie Küche und Verwaltung. "Wir übten, Bewerbungen zu schreiben und kümmerten uns um Praktika." Teilnehmer erhalten außerdem Vorschläge für eine Beschäftigung. "Ich wollte aber nicht irgendetwas machen, sondern wieder als Mediengestalterin arbeiten, denn mich faszinieren Video- und Filmaufnahmen. "Im Beruflichen Trainingszentrum musste sie kämpfen, um zu ihren Zielen zu gelangen, betont Ulrich.

Seit 2014 wird Ulrich zusätzlich ambulant von der Sozialtherapie Kassel betreut. Hans Zangerle, der für sie zuständige Betreuer, freut sich über die berufliche Entwicklung: "Von Anfang an haben mich die Zielvorstellungen von Maria Ulrich beeindruckt. Sie ist ihren Weg konsequent gegangen. Sie weiß, was sie will." Ulrich müsse nun ein besseres Gleichgewicht zwischen dem, was sie schafft, und ihren Zielen entwickeln, so Zangerle. "Sie muss ihre eigenen Grenzen wahrnehmen." Hans Zangerle als koordinierende Bezugsperson führt regelmäßig Gespräche mit Maria Ulrich über Beruf, Gesundheit und psychische Genesung. Ihm stehen zwei Pädagoginnen zur Seite. Die begleiten Ulrich zu schwierigen Terminen wie beispielsweise Arztbesuchen und unterstützen sie durch regelmäßige Gespräche, in denen sie mit ihr Erlebtes reflektieren. Der Landeswohlfahrtsverband Hessen finanziert dieses Betreuungsangebot der Sozialtherapie Kassel im Rahmen der Eingliederungshilfe.

"Es kommt leider nicht oft vor, dass jemand, der im Betreuten Wohnen lebt, den Weg auf den allgemeinen Arbeitsmarkt schafft", betont LWV-Regionalmanagerin Ulrike Jorzik. "Frau Ulrich hat das richtig gut hinbekommen und hatte das Glück, einen verständnisvollen Arbeitgeber zu finden."

 

VOM PRAKTIKUM ZUM FESTEN JOB

Maria Ulrich lernte Julian Emig von jojo.tv auf einer Hausparty kennen. Er vermittelte ihr ein Praktikum bei der Fernsehproduktionsfirma. Im Job machte sie ihre Sache so gut, dass sie in diesem Mai nach einem Jahr eine Festanstellung als Produktions- und Regieassistentin erhielt.

Sie arbeitet inzwischen an fünf Tagen pro Woche für jeweils vier Stunden an unterschiedlichen Orten. Ihr Tag beginnt in der Regel um 10 Uhr und endet gegen 14 Uhr. Oft dauert die Arbeit länger. Das ist anstrengend für Ulrich. Die Organisation eines Drehtags sei besonders stressig. Menschenmassen beunruhigen sie. Daher schlafe sie vor großen Aufträgen schlecht, sagt Ulrich. "Nach Dreharbeiten brauche ich eigentlich Ruhe." Da das oft nicht möglich ist, hält sie durch. Die zusätzliche Arbeitszeit kann Ulrich durch freie Tage ausgleichen oder sie geht an anderen Tagen früher. "Für uns ist es kein Problem, die Arbeitszeiten flexibel zu planen", sagt ihr Chef Johannes Guttenhöfer.

Trotz anstrengender Tage machen Ulrich die Aufträge Spaß, denn so lernt sie neue Orte und Menschen kennen. Zu den Kunden von jojo.tv gehören sowohl öffentlich-rechtliche als auch private Fernsehsender. Die Firma stellt unter anderem Musikvideos, Werbespots, Fotos und Aufführungsmitschnitte im Theater her. Für das Regionalmanagement Nordhessen produzierte jojo.tv ein zweiminütiges Imagevideo über die Grimm Heimat; der bislang wichtigste Auftrag für Ulrich.

 

VOM DREH BIS ZUM FERTIGEN FILM

Auch wenn manche Tage länger sind kann Maria Ulrich abschalten: "Der Job ist mein Hobby. Es macht mir so viel Spaß, dass es sich nicht wie Arbeit anfühlt", freut sie sich. Als fest angestellte Mitarbeiterin hat sie viele Aufgaben. "Es fängt beim Ton an, geht über Beleuchtung bis hin zur Kamera. Manchmal interviewe ich auch Leute", sagt Ulrich. Sie bespricht den Ablauf mit Kollegen. Nach dem Dreh bearbeitet Ulrich das Filmmaterial mit digitalen Schnittprogrammen. Anschließend schreibt sie dem Auftraggeber eine Rechnung und regelt die Bezahlung.

Die Organisation beginnt aber schon vor dem Auftrag im Büro. Sie telefoniert mit dem Kunden, regelt Hin- und Rückfahrt und bringt die Ausrüstung zum Termin. Die praktische Arbeit gefalle ihr besser."Organisatorisches und Telefonate liegen mir weniger", gesteht sie. Doch um solche Aufgaben müsse man sich auch kümmern, erklärt sie. Das sei wichtig im Team.

Tatsächlich hält sich Ulrich wenig in den Büroräumen auf, die meiste Zeit verbringt sie an Dreh- und Einsatzorten. Doch gute Planung ist eben Voraussetzung. So machte Ulrich Fotos bei einer Hochzeit. Sie sprach dazu die Wünsche mit dem Hochzeitspaar und ihrem Chef, Johannes Guttenhöfer, ab.

Dieser gründete die Firma 2003 in Kassel. Jojo.tv setzt sich zusammen aus Guttenhöfer als Firmeninhaber, Maria Ulrich sowie zwei freien Mitarbeitern, die bei größeren Projekten mit im Einsatz sind. Die Firma ist eine von mehreren in der ehemaligen Nachrichtenmeisterei im Kulturbahnhof Kassel und profitiert vom kreativen Austausch mit den anderen Medienproduktionsfirmen. Gemeinsam nutzen sie die über 4.000 Quadratmeter große Mietfläche in den alten Gebäuden der Deutschen Bahn.

An der Wand des Büros von jojo.tv klebt ein gelber Aufkleber. Darauf ist zu lesen: "Man muss nicht verrückt sein, um hier zu arbeiten. Aber es hilft ungemein!" Ulrich findet, dass der Satz das Credo bei jojo.tv sein könnte: "Wer normal ist, wird mit den verrückten, aus der Reihe tanzenden Menschen nicht so gut zurechtkommen. Wer einen gewöhnlichen Bürojob sucht, wäre hier falsch aufgehoben", sagt sie und lächelt.

Sebastian Dittrich