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Christiane Müller und die Spurensuche von Herrn Ripka

Josef Tadeusz Rippka ist 58 und weiß so gut wie gar nichts über seine Kindheit. Christiane Müller vom LWV hat ihm bei der Spurensuche geholfen.

KASSEL. Er bringt die beiden Menschen mit, die ihm am vertrautesten sind: Annette Momberg, seine Verlobte, mit der er zusammen lebt. Und Bernd Tonigold, seinen Betreuer von der Baunataler Diakonie. Nur daran lässt sich ablesen, wie wichtig diese Verabredung für Josef Tadeusz Rippka ist. Er wirkt äußerlich ruhig. Unaufgeregt. Zumindest anfangs.

Josef Tadeusz Rippka ist 58 Jahre alt und weiß so gut wie gar nichts über seine frühe Kindheit. Deshalb will er seine Akten durchsehen. Seit vier Jahren sucht er nach jedem Zipfelchen Information, das er kriegen kann. Und weil er inzwischen in Hofgeismar im Betreuten Wohnen lebt, werden seine Unterlagen beim Landeswohlfahrtsverband in Kassel im Archiv aufbewahrt. Komplett. Auch die aus den frühen Jahren: Einen großen Teil seiner Kindheit hat Josef Tadeusz Rippka in einem Heim der Nieder-Ramstädter Diakonie verbracht.

Christiane Müller hat die Akten mitgebracht. Auch für die stellvertretende Regionalmanagerin im LWVFachbereich für Menschen mit geistiger Behinderung ist es ein ungewöhnlicher Termin. Von Herrn Rippkas Forscherdrang hat sie bereits gehört. „Ich finde das toll, dass Sie Ihr Ziel so beharrlich verfolgen“, lobt sie ihn bei der Begrüßung. „Sie sind ja schon eine ganze Weile dabei.“

Herr Rippka nickt. Und erzählt schüchtern von den Erfolgen. Zwei Brüder hat er gefunden, von dessen Existenz er lange Zeit nichts ahnte. Frank Jimmy Rippka und Rudi Seibert. Ein weiterer Bruder starb früh, wie er inzwischen weiß. „Ich habe Frank und Rudi schon ein paar Mal getroffen“, berichtet er. „Ich war mit ihnen auch auf dem Friedhof, am Grab unserer Mutter.“

Die Geschichte seiner Forschungstätigkeit ist eine Geschichte der glücklichen und unglücklichen Zufälle. Die größte Überraschung: Als er im Rathaus seines Geburtsorts Groß-Zimmern nachfragt, erfährt er, dass es zwei Brüder gibt. Und als er sie schließlich findet, nehmen ihn beide nach anfänglichem Zögern mit offenen Armen auf. Obwohl sie ihn zuvor nicht kannten. Sondern nur ahnten, dass es ihn gibt. „Frank Jimmy“, sagt Herr Rippka, „hat mal ein Gespräch unserer Mutter mit ihrem späteren Ehemann belauscht. Da haben sie über mich gesprochen.“ Doch wenn Frank Jimmy nachfragte, bekam er Schelte statt einer Antwort.

 

MIT WENIGER ALS EINEM JAHR INS HEIM

Das ist die traurige Seite von Josef Tadeusz Rippkas Entdeckungsreise: Seine Mutter hat ihn offenbar verleugnet. Keinen Kontakt zu ihm haben wollen. Das belegt auch die Akte, die Christiane Müller ihm an diesem Nachmittag zeigt. Und als er endlich (über die Brüder) erfährt, dass sie nach Amerika, nach Kalifornien, ausgewandert ist, ist es zu spät, Kontakt zu ihr aufzunehmen: Irmgard Emmi Rippka ist ein halbes Jahr zuvor gestorben. Doch selbst diesmal gibt es für ihn einen kleinen Trost: Seine Mutter hat noch zu Lebzeiten dafür gesorgt, dass sie in Groß-Zimmern beerdigt wird. Der Sohn kann mit den neu gewonnenen Brüdern zumindest das Grab besuchen.

Die Akten geben wenig Aufschluss darüber, wer oder wie seine Mutter war. Christiane Müller hat versucht, weitere Unterlagen zu bekommen. Aus der Zeit von 1952 bis 1954. Doch beim Landkreis Darmstadt-Dieburg erfährt sie, dass diese Akten vernichtet sind.

Bleibt das, was den Weg ins LWV-Archiv gefunden hat. Christiane Müller liest Herrn Rippka daraus vor. Sie hat alles Wichtige vorsorglich markiert: Sämtliche Blätter, die Hinweise auf die Eltern geben. Es sind nicht viele. Josef Tadeusz ist mit weniger als einem Jahr ins Heim gekommen. Mit drei Jahren wird er in die Nieder-Ramstädter Diakonie gebracht. Als er ungefähr acht Jahre alt ist, attestiert ihm ein Amtsarzt eine leichte geistige Behinderung. Josef Tadeusz bleibt im Heim, auch, nachdem er erwachsen geworden ist.

Die Akte enthält Berichte von Zahnarztbesuchen. Von Ausfl ügen zu einem Ehepaar, mit dem sich Josef Tadeusz angefreundet hatte: Der Mann arbeitete im Heim und hatte den Jungen offenbar ins Herz geschlossen. Und dann enthält die Akte mehrmals einen Vermerk der Heimleitung, dass die Mutter unauffi ndbar ist, nichts zur Erziehung ihres Sohnes, zu den Unterhaltskosten beitragen kann.

Doch dann geben die vergilbten Seiten doch noch eine kleine Sensation preis: Den Namen des Vaters. Offenbar hatte die Mutter ihn der Heimleitung ganz zu Anfang einmal genannt. Tadeusz lautet der Vorname. Irmgard Emmi Rippka hat ihn an den unehelichen Sohn weitergegeben. Mit dem Vater aber ist sie offensichtlich nicht zusammen geblieben. Sie hat erst später geheiratet, zunächst Herrn Seibert, danach einen Herrn Smith.

 

SEIN LEBEN IN DIE EIGENEN HÄNDE GENOMMEN

Josef Tadeusz Rippka wirkt ein wenig geschafft nach dem Aktenstudium und den neuen Erkenntnissen. Aufgewühlt. Doch er ist entschlossen, soviel wie möglich zu erfahren. Christiane Müller hatte ihn vorsorglich gefragt, ob er die Akte auch dann sehen wolle, wenn sie unangenehme Neuigkeiten enthalte. „Ja“, hatte er zu seinem Betreuer gesagt. Und keinen Zweifel daran gelassen, dass es ihm Ernst ist.

Dass Josef Tadeusz Rippka seit seinem 54. Lebensjahr seine eigene Geschichte erforscht, ist auch in den Unterlagen vermerkt. Er hat es selbst als Ziel formuliert. Und einige Etappen sind dokumentiert. Christiane Müller zeigt es ihm. Die Suche nach den Wurzeln ist ein Indiz dafür, dass Herr Rippka sein Leben in die eigenen Hände genommen hat. Nach so vielen Jahren Heimaufenthalt keineswegs selbstverständlich. Über dem Sofa hat er Fotos von seiner Mutter aufgehängt. Kleine Trophäen seiner Forschungsarbeit.
ebo