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Frühförderung Hören

Begleitung beim Aufwachsen in zwei Welten

Sandra Breser ist die pädagogische Leiterin der Interdisziplinären Frühberatungsstelle Hören und Kommunikation an der Schule am Sommerhoffpark in Frankfurt, die auch eine mobile Frühförderung anbietet. Spezialisiert ist ihr Team, zu dem auch Sozialpädagogin Ulrike Schaab gehört, im Bereich Hörgeschädigtenpädagogik. Bis zum Schuleintritt begleiten sie einerseits hörende Kinder gehörloser Eltern, andererseits hörgeschädigte Kinder hörender Eltern.

Die Schwestern Maha (6 Jahre) und Nisa Khan (4 Jahre) empfangen Sandra Breser schon im Flur des Freien Kindergartens e. V. in Rüsselsheim. Maha hat eine Bärenmaske gebastelt. Gemeinsam mit der Frühförderin laufen die Mädchen zum Spiegel und zeigen, was Bärchen alles können.

Als nächstes wünschen sich Maha und Nisa, gemeinsam zu puzzeln. "Arche Noah", "Auf dem Bauernhof" und "Rettungseinsatz" – ein Legespiel nach dem anderen fügen sie flink zusammen. Sandra Breser, die Heil- und Sozialpädagogik studiert hat, animiert die beiden zu erzählen, was sie sehen. "Giraffen, Elefanten, Vögel", beschreibt Nisa ihr Bild. Die beiden genießen die Aufmerksamkeit und festigen spielend sowohl die Laut- als auch die Gebärdensprache. Schnell ist die Zeit mit Sandra Breser vorbei.

Laut- und Gebärdensprache

Mit den Eltern von Maha und Nisa klappt die Kommunikation hauptsächlich über das Schreiben. Denn beide sind gehörlos. Maha und Nisa sind sogenannte CODA-Kinder (Children of Deaf Adults), hörende Kinder von gehörlosen Eltern. Die Familiensprache zuhause ist die Deutsche Gebärdensprache (DGS). Mit ihrem Bruder sprechen sie zudem die deutsche Lautsprache. Die beiden Mädchen wachsen in zwei Welten auf. Für die Erzieherinnen war diese Zweisprachigkeit von Maha und Nisa anfangs eine neue Situation. Gut, dass sie mit Sandra Breser eine kompetente Ansprechpartnerin haben, die ihre Fragen beantwortet.

Der nächste Termin führt Sandra Breser zu Dominica Tuckermann und ihrer Familie. Auch die Dreijährige ist ein CODA-Kind. Sie hat noch drei hörende Geschwister – eine kleine Schwester und zwei ältere Brüder. Sandra Breser berät und unterstützt die Familie seit rund sieben Jahren. Die Mutter ist hochgradig schwerhörig, der Vater gehörlos. Die Familiensprache ist die Deutsche Gebärdensprache, teilweise werden DGS und Lautsprache gemischt.

Hintergrund

CODA-Kinder

Die Bezeichnung CODA kommt aus dem Amerikanischen und bedeutet "Children of Deaf Adults". Sie haben Anspruch auf Früh­förderung und Beratung.

CODA-Kinder sind vor beson­dere alltägliche Heraus­forderungen gestellt. Sie wachsen mit unter­schied­lichen Sprachen – der Laut- und der Gebär­den­sprache – auf und müssen diese sehr flexibel handhaben. Dabei ist die Gebärdensprache häufig die Muttersprache.
Im Gegensatz dazu nutzt das hörende soziale Umfeld wie Großeltern, Nachbarn, Erzie­herinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer und der Freundeskreis die Laut­spra­che.
Die unterschiedlichen Sprach­systeme prägen den Alltag der CODA-Kinder und bilden Barrieren im Kontakt unter­einander, weil das Um­feld nicht ausreichend auf diese Besonderheit eingestellt ist.

<a id="c10297" class="anchor"></a><div class="csc-default"><h2>Hintergrund</h2><div class="body"><h3>CODA-Kinder</h3> <p class="bodytext">Die Bezeichnung CODA kommt aus dem Amerikanischen und bedeutet &quot;Children of Deaf Adults&quot;. Sie haben Anspruch auf Früh­förderung und Beratung. </p> <p class="bodytext">CODA-Kinder sind vor beson­dere alltägliche Heraus­forderungen gestellt. Sie wachsen mit unter­schied­lichen Sprachen – der Laut- und der Gebär­den­sprache – auf und müssen diese sehr flexibel handhaben. Dabei ist die Gebärdensprache häufig die Muttersprache. <br />Im Gegensatz dazu nutzt das hörende soziale Umfeld wie Großeltern, Nachbarn, Erzie­herinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer und der Freundeskreis die Laut­spra­che. <br />Die unterschiedlichen Sprach­systeme prägen den Alltag der CODA-Kinder und bilden Barrieren im Kontakt unter&shy;einander, weil das Um­feld nicht ausreichend auf diese Besonderheit eingestellt ist.</p></div></div>

Bildergalerie

Sandra Breser und Maha Khan beim Malen
Sandra Breser und Maha Khan (6) beim Malen. Maha kann hören und ist ein CODA-Kind (Fotos: Rolf K. Wegst)Bild vergrößern
Sandra Breser und Maha beim Puzzeln
Sandra Breser und Maha puzzeln und trainieren dabei die Lautsprache. Bild vergrößern
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Sandra Breser, Maha und ihre vierjährige Schwester Nisa.
Die Frühförderin kommuniziert mit den Schwestern Maha und Nisa (4) in ihrer Familiensprache: der Gebärdensprache.Bild vergrößern
Sandra Breser beim Gebärden mit den Mädchen
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Familie Tuckermann mit Sandra Breser
Knete mixen als Gesprächsanlass: Mutter und Vater Tuckermann, beide hör-behindert, gebärden mit Sandra Breser.Bild vergrößern
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Dominica Tuckermann mit Sandra Breser
CODA-Kind Dominica Tuckermann mit Sandra BreserBild vergrößern
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Familie Tuckermann und Sandra Breser
Die Eltern schauen sich von der Frühförderin ab, wie sie noch mit ihrem Kind ins Gespräch kommen können.Bild vergrößern
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Sandra Breser spricht und gebärdet mit Dominica Tuckermann
Sandra Breser spricht und gebärdet mit Dominica Tuckermann.Bild vergrößern
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Sandra Breser
Die Frühförderin Sandra BreserBild vergrößern
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Ulrike Schaab
Die Frühförderin Ulrike SchaabBild vergrößern
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Eltern mit Kind im Dialog

Dominica freut sich schon auf die Frühförderstunde, an der auch ihre Eltern teilnehmen. Neugierig beobachtet sie, was Sandra Breser auf den Wohnzimmer-Tisch legt: Mehl, Öl und Lebensmittelfarben, außerdem eine Schritt-für-Schritt-Anleitung. Darauf sind Gegenstände abgebildet und Gebärdenbilder. Bald wird Dominica klar, was das gibt: selbstgemachte Knete. Alle machen begeistert mit. Es wird gebärdet und gleichzeitig die Lautsprache geübt, alles ganz spielerisch. „Ich arbeite sehr gerne im Freispiel. Da entstehen so schöne Gespräche“, erklärt die Pädagogin. „Die Eltern sind mit ihrem Kind im Dialog. Zudem sehen sie, wie ich etwas visualisiere und lernen so, wie sie noch mit ihrem Kind ins Gespräch kommen können.“

Ängste und Unsicherheiten

Doch Frühförderung umfasst mehr, als die Sprachentwicklung des Kindes zu fördern. "Gehörlose Eltern, die ein hörendes Kind bekommen, haben oft Ängste und Unsicherheiten. Viele verstummen auch, weil sie Angst haben zu lautieren", schildert Breser. "Es ist deshalb sehr wichtig, dass wir schon früh in die Familien gehen, die Eltern in ihrer neuen Rolle stärken und bei Problemen ansprechbar sind."

Auch hörende Eltern, die ein gehörloses oder schwerhöriges Kind bekommen, sind unsicher im Umgang mit der neuen Situation und fragen sich: Kann mich das Kind überhaupt hören? Kann es das Sprechen lernen? "Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass die Eltern weniger kommunizieren. Aber gerade der frühe Dialog ist extrem wichtig", erklärt Ulrike Schaab.

Seit dem ersten Lebensjahr

Im Falle des dreijährige Remus Weber* fand die Erstberatung bei Ulrike Schaab bereits im ersten Lebensjahr statt. Der Junge hat eine Hörschädigung, darüber hinaus wurde bei ihm ein genetisches Syndrom diagnostiziert. Seitdem besucht die Frühförderin Remus regelmäßig zu Hause und im Kindergarten. Seine Eltern und sein kleiner Bruder Runa sind beim Treffen dabei. Remus holt sich viele bunte Bausteine und baut einen großen Turm. "Rot, blau, grün." Gemeinsam mit Ulrike Schaab benennt er die Farben. Die Frühförderin ist begeistert, wie gut der Junge kommuniziert. Nur schwierige Wörter gebärdet er noch.

* Name von der Redaktion geändert

Kontakt Frühberatungsstellen

CODA-Kinder sowie alle Kinder, deren Hörfähigkeit beeinträchtigt ist, und deren Familien werden ab dem Säuglingsalter bis zum Schul­eintritt von den Mitarbeiter­innen und Mitarbeitern der Interdisziplinären Frühbera­tungsstellen des LWV Hessen begleitet und gefördert. Den Eltern wird Beratung und Unterstützung angeboten.

Ziel ist, allen betroffenen Kindern eine gute Chance auf eine möglichst optimale Hör- und Sprachentwicklung und damit auf eine optimale Gesamtentwicklung zu bieten.

Für die Familien ist diese Frühförderung und -beratung kostenfrei. Die Kosten der individuellen Einzelförderung werden bei Bedarf und auf Antrag vom zuständigen örtlichen Sozialhilfeträger übernommen.

Hessenweit werden diese Leistungen von vier Interdis­ziplinären Frühberatungs­stellen Hören und Kommuni­kation erbracht, deren regio­nale Zuständigkeiten verbind­lich geregelt sind. Den für Ihre Region zuständigen Ansprech­partner finden Sie hier.